Gegensätzlicher könnten die beiden Männer kaum sein: Toan Ngyuen, Gründer von JvMNerd, und Eduard Bergmann, People & Culture Manager bei Deltra Business Software/Orgamax und Experte beim HR-Panel des diesjährigen Business Creator Summit (BCS) in Frankfurt. Der eine ist einer der prominentesten, auch international bekannten Werber mit Base in Hamburg. Der andere arbeitet bei einem 150 Mitarbeiter kleinen Software-Anbieter in Detmold. Der eine hat vergangene Woche auf LinkedIn einen Jubelbeitrag über eine Gold-Auszeichnung beim Deutschen Digital Award gepostet. Der andere einen ziemlich persönlichen Bericht mit der Headline „Ich hatte Angst vor Ablehnung“. Und doch haben Ngyuen und Bergmann etwas gemeinsam: Beide haben es geschafft, eine starke Personal Brand aufzubauen, und beide sind ziemlich erfolgreiche Corporate Influencer. Ngyuen hat auf LinkedIn rund 17.700 Follower, Bergmann rund 13.100.
Dass die beiden Männer – wenn auch nicht zeitgleich – Gäste auf der Bühne waren, ist also kein Zufall. Und es zeigt, wie individuell Corporate Influencing inzwischen geworden ist. Vor allem aber zeigt es: Erfolgreiches Corporate Influencing ist keine Frage der Größe (mehr). Ähnlich wie sich das klassische Influencer Marketing schon vor Jahren immer stärker ausdifferenziert und jeder Creator seine oftmals noch so kleine Mikronische gefunden hat, bedienen nun auch immer mehr Corporate Influencer zunehmend spitzere Zielgruppen.Mehr noch: Es könnte sogar sein, dass kleine „Corporate-Influencing-Schnellboote“ wie Bergmann in manchen Punkten die Nase vorn haben. Gerade wenn es um Sichtbarkeit bei Bewerbern geht.
Effekt ist messbar
Dass viele Organisationen in Sachen Corporate Influencing gerade den Turbo einschalten, liegt zunächst einmal daran, dass im Influencer Marketing alles so schön messbar ist. Das gibt Kommunikations- und HR-Verantwortlichen handfeste Argumente für interne Überzeugungsarbeit an die Hand. Klassische Social-Media-KPIs wie Follower-Zuwachs, Click-through-Rate, Lead-Generierung und Engagement-Raten überzeugen zunehmend auch beim Corporate Influencing. Laura Bornmann, bis September 2022 Head of HR Development bei Rewe und heute als HR-Beraterin selbständig, sagt auf der BCS-Bühne: „Corporate Influencing ist ein belegbarer Business Case.“ Jedes Unternehmen, das diese Disziplin professionell und individuell einsetze, bekomme deutlich mehr und deutlich bessere Bewerbungen.
Auch People & Culture Manager Bergmann, das Schnellboot aus Detmold, macht damit sehr gute Erfahrungen. Nach drei Monaten strategischer Vorarbeit im Unternehmen hat er im Januar 2023 seinen ersten LinkedIn-Beitrag gepostet. Mittlerweile bekommt die Detmolder Deltra Business Software rund 150 Bewerbungen. Pro Woche. Die Follower-Zahl auf dem LinkedIn-Profil des Unternehmens sei seither von 300 auf 4000 gewachsen. „Das ist schon ziemlich krass“, findet Bergmann. „Gerade für uns als kleineres Unternehmen ist Social Media ein sehr cooler Weg, um deutlich mehr Sichtbarkeit auf dem Arbeitnehmermarkt aufzubauen.“
Womit wir beim entscheidenden Punkt sind, der die aktuelle Transformation des Corporate Influencing am besten beschreibt: Im immer härter werdenden War for Talents haben auch und gerade in den sozialen Medien nur jene Unternehmen eine Chance, die sich in der gigantischen Content-Flut durchsetzen können. Und zwar mit authentischen, menschlichen und mutigen Inhalten, für die man schnell sein muss.
Außen- und Innenwirkung
Alles nicht neu? Stimmt. Im Influencer Marketing sind Authentizität, Glaubwürdigkeit, Mut und Tempo längst ein alter Hut. Im Corporate Influencing aber ist es eher ein Novum und ein echtes Dilemma. Denn einerseits sind starre Regeln, Bedenken und Verbote immer noch die größten Erfolgshemmer für Corporate Influencer. Andererseits sind Glaubwürdigkeit und Authentizität gerade im HR-Management die wichtigsten Währungen im Kampf um neue Talente. Der Handlungsdruck für Unternehmen, sich locker zu machen, ist also riesengroß.
Beraterin Bornmann sieht in der Starrheit vieler Unternehmen einen großen Fehler: „Gerade in der Arbeitswelt müssen wir unsere menschliche Seite zeigen können. Ich möchte deshalb allen Unternehmen raten, ihren Mitarbeitenden mehr Vertrauen zu schenken und ihnen die Freiheit zu lassen, sich in ihren Posts auch als Mensch darzustellen.“ Im Corporate Influencer Marketing gebe es dazu „keine Alternative“ mehr. „Menschen folgen Menschen“, so Bornmann.
Wie das geht, weiß Schnellboot Bergmann. „Natürlich habe ich mich am Anfang gefragt, was hat denn der Edi jetzt noch Neues zu erzählen. Dann habe ich begriffen: Es geht um meine persönliche Sicht auf die Dinge.“ Sein CEO gab ihm dafür volle Freiheit und Rückendeckung – und die Garantie, im ersten Jahr keine konkreten Erfolge erzielen zu müssen. Beides zeigte Wirkung. In einem Vorstellungsgespräch sagte eine Bewerberin kürzlich zu Bergmann: „Ich folge Dir seit vielen Monaten auf LinkedIn, ich identifiziere mich mit Deinen Werten und deshalb auch mit Eurer Unternehmenskultur. Schon jetzt habe ich das Gefühl: Ich kenne Dich.“ Mehr kann man sich als HR-Verantwortlicher auf Personalsuche kaum wünschen.
Alexandra Leibfried ist überzeugt, dass die Transformation des Corporate Influencing genau deshalb offenere Debatten über Inhalte braucht. Sie ist Redaktionsleiterin von Career Pioneer, in dieser Rolle auch für die Karriereseite dieser Zeitung verantwortlich, und sagt auf der BCS-Bühne: „Wichtig ist es, vom Blockierer zum Unterstützer zu werden.“ Natürlich brauche es Leitlinien, aber dann sollte für Corporate Influencer die Devise gelten „einfach machen lassen“. Zumal die Disziplin noch eine weitere wichtige Rolle für Unternehmen habe. Leibfried nennt das „flächendeckendes Beziehungsmanagement“. Denn in gewisser Weise, so die Journalistin, hielten „Corporate Influencer auch den Laden zusammen“. Weil der authentische und nahbare Content der Corporate Creator nicht nur auf externe Zielgruppen wirke, sondern ebenso stark und positiv auf interne Stakeholder. Eine klassische Win-Win-Situation für das gesamte Unternehmen, so Leibfried.
Fuck up der Woche
Ob auch Ivana Tadić den Laden zusammenhält, wissen wir nicht. Aber menschlich geht es bei ihr ganz sicher zu, und sie ist ein gutes Beispiel dafür, wie auch Konzerne vom Engagement ihrer Beschäftigten profitieren können. Tadić arbeitet bei Mercedes-Benz im globalen HR Development und erreicht auf TikTok mit ihrem persönlichen Account @bewerberqueen eine Fanbase von mittlerweile über 50.000 Followern. Laut Tadić gehe es zumindest bei TikTok für HR’ler nicht darum, neue Bewerber zu finden, sondern um Brand Awareness: „Das wichtigste für Unternehmen auf TikTok ist es, in der Content-Flut auf dem Radar der Leute zu bleiben.“ Ihre Tipps für Neueinsteiger lauten deshalb ziemlich simpel: die internen Genehmigungsschleifen für Social Media Posts reduzieren und in den Posts die wichtigsten persönlichen Learnings einer normalen Arbeitswoche Revue passieren lassen. Letzteres gerne auch mit eigenen Niederlagen. „Gut auf TikTok funktioniert der Fuck up der Woche“, so Tadić.