Im HR-Management spielen KI-Tools eine zunehmend wichtige Rolle. Doch welche sind wirklich wichtig? Und welche eher verzichtbar? Ein Gespräch mit der KI-Expertin Verena Fink über sinnvolle Einsatzfelder, die Bedeutung von Regeln und die Frage, wie man Diskriminierung vermeidet.
Bei der Auswahl von Bewerbern kann es nach wie vor sein, dass künstliche Intelligenz diskriminierende Entscheidungen trifft. Ist das Thema so schwierig in den Griff zu bekommen – oder wurde KI in solchen Fällen möglicherweise falsch eingesetzt?
Viel hat mit der menschlichen Hybris zu tun, die daran festhalten möchte, dass wir doch die besseren Entscheider oder die besseren Jurorinnen und Juroren sind. Man hört häufig, dass wir die Vorauswahl von Bewerbern nicht einer KI überlassen sollten, weil sie diskriminieren könnte. Aber seien wir ehrlich: Wie viel Diskriminierung findet statt, wenn menschliche Personalerinnen und Personaler die Auswahl treffen? Wir haben doch auch unseren Bias, wir haben unbewusste Vorlieben und Erfahrungen, nach denen wir Menschen einschätzen. Es ist so ähnlich wie die verbreitete Angst vor dem autonomen Fahren. Ich selbst habe keine Angst vor autonomen Fahrzeugen, sondern vor der Tatsache, dass da auch noch echte Fahrer auf der Straße unterwegs sind. Denn das sind die, die unberechenbar sind und wahrscheinlich Fehler machen.
Also kein Grund zur Sorge?
Ich mache mir keine großen Sorgen. Die KI ist hart. Das heißt, sie wird uns unsere eigene Diskriminierung spiegeln, wenn wir sie – wie bei Amazon geschehen – mit den Bewerbungsunterlagen und den Bewerbungsentscheidungen der Vergangenheit füttern. Es ist ja nicht die KI, die sich das ausgedacht hat. Wir müssen uns im Training der KI viel bewusster Gedanken machen, nach welchen Kriterien wir auswählen. Ich glaube, dass dies dann eher Diskriminierung aufdeckt, als dass sich Diskriminierung in den Prozess einschleicht.
Müssen wir mehr Wert darauf legen, welche Daten wir zum Training der KI heranziehen?
Ja, denn KI ist nur so gut wie die Daten, mit denen sie gefüttert wird. Und darin liegt oft das Problem. Wenn wir bei Firmen sagen, wir nutzen einfach die Bewerbungsdaten der vergangenen zehn Jahre und trainieren damit die KI, dann wird sie das wiederholen, was wir immer gemacht haben. Und wenn wir immer diskriminiert haben, weil Männer eher Männer rekrutieren oder was auch immer, dann wird sie uns das widerspiegeln. Deshalb sage ich: Die Diskriminierung ist meines Erachtens menschengemacht.
Zeigt diese Diskussion vielleicht auch eine generelle Skepsis gegenüber dem Einsatz von KI im HR-Management?
Das kann gut sein. Diese Angst, etwas der Maschine zu überlassen und dann keinen Einfluss mehr drauf zu haben, die begegnet mir häufig und kann ich auch verstehen. Das Schwierige ist ja: Es gibt nicht die eine richtige Lösung. Wir suchen nach dem idealen Mitarbeiter, der idealen Mitarbeiterin. Da muss ich überlegen, woran mache ich das fest? Das Unternehmen muss sich überlegen, was es will. Mehr vom Gleichen, weil das besonders gut funktioniert? Oder ein diverses Team? Woran soll sich mein Algorithmus orientieren? Woran mache ich beruflichen Erfolg fest? Das sind weiche Faktoren, die man nicht so leicht fassen kann.
Verena Fink Sie ist Autorin, KI-Expertin und geschäftsführende Gesellschafterin der Strategieberatung Woodpecker Finch. Außerdem gilt sie als Vordenkerin im Bereich der digitalen Transformation. Ihr jüngstes Buch, Künstliche Intelligenz in der Personalarbeit, stellt Anwendungsbereiche von KI im HR-Management dar, schildert Cases und skizziert, wie sich damit die Arbeitswelt verändern wird. Fink unterstützt als Beirätin die europäische Initiative KI-Park, ist Vorständin im Bundesverband „Die KMU Berater“ und Gesellschafterin des US-Start-ups Quorum AI. |
Das bedeutet: KI ist nur ein Tool, für das der Mensch nach wie vor die Spielregeln definiert.
Ich kann mir eine Lösung aus dem Regal kaufen, aber ich glaube nicht, dass mir das hilft. Ich muss für mich definieren, wen ich eigentlich suche und mit wem ich vergleiche. Es gibt eine intensive Pro-Kontra-Diskussion bei KI-basierten Assessments. Die Pro-Fraktion sagt: Das ist transparent, das ist fairer als vorher. Weil ich nicht mehr einen Mitarbeiter habe, der 400 Bewerbungen durchgeht und bei Nummer 394 vielleicht müde ist oder weniger Lust als am Anfang hat. Und die Gegner sagen: Wenn du die Leute nicht bei dir im Büro sitzen hast, dann fehlt dir der menschliche Kontakt.
Hat die Kritik an KI-Tools im HR-Management zugenommen oder werden die Bedenken geringer?
Wenn ich bei KI-Projekten vermittle, spüre ich immer noch Bedenken. Das hat viel mit Unwissenheit oder Unklarheit zu tun. Wenn wir dann die Bedenken sortieren, dann entsteht daraus schnell Vertrauen. Sortieren heißt, dass wir Regeln definieren. Zum Beispiel, wie und zu welchem Zweck wir KI-Systeme einsetzen. Wir wollen, dass sie uns die Arbeit erleichtern, wir wollen nicht zum Handlanger von Maschinen werden. Wir müssen außerdem nachvollziehen können, was in der KI passiert. Die sogenannte Explainable AI schafft Vertrauen. Mein Credo ist auch: Lasst uns auf Verhaltensprognosen verzichten, die von einem negativen Menschenbild ausgehen.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Eine KI kann beispielsweise Diebstahlprognosen im Lager vorhersagen. Wenn ich das aber als Arbeitgeber einsetze, dann ist Misstrauen vorprogrammiert. Und dass die Menschen meiner KI vertrauen sollen, während ich ihnen misstraue, ist irgendwie widersprüchlich. KI darf auch nicht nur ein Fall für die IT sein. Wir wollen cross-funktionale Teams. Nutzer, Leute aus der Logistik, aus dem Betriebsrat, aus dem Personal sollen mitreden können. Es ist ganz wichtig, durch Wissen Vertrauen zu schaffen. Deshalb würde ich immer Zeit und Energie investieren, die Menschen mitzunehmen. Und nicht ein fertiges Ding an die Rampe zu stellen und zu sagen, los geht’s.
Wenn jetzt eine Personalabteilung überlegt, wo sie KI nutzen sollte: Was würden Sie empfehlen?
Künstliche Intelligenz kann sehr große Mengen von strukturierten und unstrukturierten Daten analysieren und darin Fehler erkennen, Gemeinsamkeiten, Muster, Abweichungen. Das kann ich in vielen HR-Instrumenten gebrauchen. Sie bedeutet aber vor allem eine Entlastung von repetitiven Aufgaben. Wir haben noch etliche Personalbereiche, die enorm viel Zeit damit verschwenden, manuell Prozesse abzuwickeln. Hier kann KI eine Menge helfen. Dann würde ich auf Frühwarnsysteme schauen. KI kann frühzeitig Potenziale und Defizite erkennen und Lösungsvorschläge machen. Gerade beim Thema Eigenkündigung können KI-Systeme rechtzeitig Hinweise an Führungskräfte geben und sagen: Guck da mal genauer hin, da verändert sich gerade was, geh vielleicht mal ins Gespräch. Oft ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, wenn der Mensch die Kündigung auf den Tisch legt. Dritter Punkt ist die Personalgewinnung im Sinne von Matchmaking. Bei der Suche nach dem besten Match zwischen Talent und Unternehmen kann KI einfach sehr gut helfen.
„Die Menschen müssen spüren, dass sie von mühsamen, repetitiven, unsinnigen Dingen entlastet werden und sie mehr Zeit für echte Wertschöpfung haben.“
– Verena Fink, KI-Expertin
Welche Punkte sollte man bei der Einführung von künstlicher Intelligenz unbedingt beachten?
Ein Fehler ist, KI als eine Sammlung von Tools zu betrachten. Nach dem Motto: Jetzt führen wir das ein, dann führen wir das ein, dann führen wir das ein. Denn jede Einführung führt zu einer soziokulturellen Veränderung an der Schnittstelle Mensch-Maschine. Dies muss man sich bewusst machen. Gruppen und soziale Dynamiken verändern sich sehr schnell, wenn Leistung transparent wird. Personalverantwortliche müssen also diesen Prozess eng und positiv begleiten. Es muss klar sein, dass KI ein Gewinn ist und keine Gängelung oder Einengung darstellt. Die Menschen müssen spüren, dass sie von mühsamen, repetitiven, unsinnigen Dingen entlastet werden und sie mehr Zeit für echte Wertschöpfung haben. Ich glaube, dann haben wir alle gewonnen. Und dafür braucht es Personalsupport.
Am Markt sind eine ganze Menge KI-Tools verfügbar, sie begleiten gewissermaßen die gesamte Wertschöpfungskette im HR-Prozess. Welche davon sind unverzichtbar? Und welche braucht man nicht unbedingt?
Ich fange mal bei den Unverzichtbaren an. Perspektivisch sehe ich im Thema People Analytics, also der strategischen Personalplanung, viel Potenzial. Es geht darum, nicht nur historische Daten zu betrachten, sondern Datenströme einzubeziehen, um bessere Prognosen zu erhalten und mit meinem Talent besser planen zu können. Auch in der Personalentwicklung leistet KI wertvolle Hilfe. Die Tools können nicht nur Entwicklungspotenziale identifizieren, sondern auch Lerninhalte zusammenstellen. Das finde ich total spannend. Worauf kann ich verzichten? Es gibt einige Spielereien im Bereich Personalmarketing. Brauche ich unbedingt den nächsten Chatbot? Na ja, der muss schon echt super sein, um daraus einen positiven USP abzuleiten … Brauche ich Social Listening, also einen Algorithmus, der alle Social-Media-Kanäle durchsucht, um zu sehen, was meine Kandidaten sonst so von sich geben? Das ist aus Datenschutzgründen ohnehin sehr kritisch zu betrachten.
Welche Tools werden noch auf uns zukommen? Wird die Personalarbeit künftig weitgehend automatisiert ablaufen?
Viele träumen von einer Super-KI. Die starke KI, die auch Empathie, Selbstreflexion und Bewusstsein hat: Das wird nicht so schnell der Fall sein. Aber künftig werden für komplexe Aufgaben mehrere KI-Lösungen miteinander verknüpft werden. Nehmen wir die Analyse von Bewerbungsvideos. Da kann ich ein System anwenden, das nur die visuellen Informationen analysiert und versucht, aus meinem Gesichtsausdruck die emotionale Verfassung zu analysieren. Ich kann ein zweites System darüber laufen lassen, das meine Sprache analysiert. Und ein drittes für den Sprachrhythmus, die Intonation und die Satzmelodie. Ist das sehr gepresst, ist das sehr monoton und was sagt das über mich aus? Das wird künftig von einem System erledigt. Ich muss mich aber immer fragen, welche Bedeutung ich all dem gebe. Sagt mein Singsang in der Stimme aus, dass ich aus Schwaben komme? Oder verrät er mehr über meine Lebendigkeit? Wenn jemand monoton spricht: Ist das jetzt gut oder schlecht für den Job, auf den er sich bewirbt? Wir werden als Mensch bei solchen Fragen immer gefordert sein. Diese Antworten gibt es nicht von der Stange, da sind wir gefragt.
Mit KI gegen den Fachkräftemangel Längst ist KI ein wertvolles Instrument im HR-Management. Entsprechende Tools werden entlang der ganzen Wertschöpfungskette eingesetzt, von der Rekrutierung über die Bewerberauswahl bis zur Personalentwicklung. KI soll die HR-Verantwortlichen vor allem von Routineaufgaben entlasten. Gleichzeitig soll sie durch die detaillierte Analyse von Daten neue Insights und wichtige Einschätzungen bringen, die sonst vielleicht nicht aufgefallen wären. Ein Beispiel ist der Einsatz von KI als Frühwarnsystem gegen die innere Kündigung von Mitarbeitenden. KI-Tools sind in der Lage, Vorgesetzte vor aufkommenden Unzufriedenheiten im Team zu informieren. Allerdings wird der Einsatz von KI immer von datenschutzrechtlichen und ethischen Bedenken begleitet. Die Diskriminierung gilt beispielsweise als Risiko, wenn etwa Algorithmen bestimmte Bewerbergruppen benachteiligen. Dennoch prognostizieren Studien einen wachsenden Einfluss von KI im HR. Unternehmen sehen in ihr eine Chance, im Kampf um Talente wettbewerbsfähig zu bleiben. |